Mentale Gesundheit bei Kindern
Vor einiger Zeit habe ich mit einem Psychiater gesprochen. Er sagte, dass mentale Gesundheit ein Luxus in Mexiko ist. Diese Feststellung hat mich nachdenklich und traurig gemacht. Gesundheit ist eines der wichtigsten Bedürfnisse der Menschen. Wenn wir nicht gesund sind, hat das erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Leben. Ein Großteil der mexikanischen Bevölkerung lebt im Überlebensmodus. Viele sind sich nicht bewusst, dass mentale Gesundheit dazugehört.
Die Kinderschutzbeauftragte
Meine Aufgaben bestehen darin, unsere Partnerkirchen in Fragen des Kinderschutzes zu begleiten. Ich vermittle ihnen, wie Kinder vor Übergriffen geschützt werden können und schule sie darin, wie sie betroffene Kinder begleiten und unterstützen können, damit Kinder und Familien z. B. Zugang zu seelsorgerlicher, psychologischer und juristischer Unterstützung erhalten.
Dazu zählt, wie die Mitarbeiter sicherstellen können, dass sich jedes Kind gesehen und wertgeschätzt fühlt. Sie sollen die Compassion-Kinderzentren als sichere Orte erleben. Auch die Kinder, Jugendlichen, ihre Familien sowie das persönliche Umfeld sollen für Themen rund um Kinderschutz sensibilisiert werden.
Viele Faktoren haben Auswirkungen auf das mentale und emotionale Wohlbefinden. Wenn ich eine Definition für mentale Gesundheit geben müsste, würde ich sagen, dass sich Gesundheit in körperlicher, geistiger und sozialer Balance ausdrückt. Es drückt die Ganzheitlichkeit aus, die auch ein wesentliches Merkmal in der Arbeit von Compassion ist. Wir wollen Kinder und Jugendliche kognitiv, physisch, sozio-emotional und geistlich begleiten und umfassend versorgen.
Was beeinflusst die mentale Gesundheit?
Jeder Aspekt der Psyche und des Körpers kann das Leben eines Kindes beeinflussen und das kann negative physische oder emotionale Reaktionen hervorrufen. Psychische Erkrankungen umfassen sämtliche Bereiche. Wir haben Kinder mit Essstörungen, Angstzuständen oder Depressionen, die durch äußere oder innere Faktoren verursacht werden können.
Laut UNICEF leben rund 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 10 bis 19 Jahren in Lateinamerika und der Karibik mit einer diagnostizierten psychischen Erkrankung. Ist ein Kind Opfer von Missbrauch geworden, weist es meist ein untypisches Verhalten auf. Es liegt nahe, dass dies zu posttraumatischen Gesundheitsstörungen und psychischen Erkrankungen führen kann. Es gab auch Fälle, in denen Familien Angehörige verloren haben und das ein Auslöser für eine psychische Erkrankung war. Aber nicht alle psychischen Erkrankungen sind auf traumatische Erlebnisse zurückzuführen.
Zum Beispiel haben wir einen Fall einer 5-Jährigen erhalten, die nichts mehr essen wollte. Sie sagte, sie würde sonst dick aussehen. Wir schauten uns ihre Lebenssituation genauer an und beobachteten, dass sie sehr durch das, was sie in den sozialen Kanälen las, beeinflusst wurde – mit gerade mal fünf Jahren. Bei ihr spielten Kommentare zum Gewicht, zum Beispiel durch die Familie, keine Rolle. Das, was sie auf Social Media sah, wirkte sich auf ihre Selbstwahrnehmung aus.
Wirkt sich die mentale Gesundheit der Eltern auf ihre Kinder aus?
Die persönliche und emotionale Situation der Eltern hat eine direkte Auswirkung auf die Gesundheit der Kinder. Wir hatten den Fall einer Mutter, die einige Kinder verloren hatte. Ihr jüngster Sohn sagte, dass er sterben wolle, um bei seinem kleinen Bruder sein zu können, der nie geboren wurde. Seine Mutter konnte die Kinder nicht mehr versorgen, weil sie an einer schweren Depression litt. Das hat sich auch auf ihren Sohn ausgewirkt, der Symptome einer Depression zeigte.
Auch der soziale Kontext spielt eine Rolle. Oft leben Kinder in extremer Armut in Gegenden, in denen sie täglich mit Gewalt, Kriminalität oder Drogenhandel konfrontiert sind. Das kann Angst auslösen, die sich in Aggression, Reizbarkeit und in einem veränderten Verhalten äußern kann. Auch die Pandemiebeschränkungen haben Spuren bei einigen Kindern und Jugendlichen hinterlassen. Einige kämpften mit Selbstmordgedanken und viele schämen sich dafür. Besonders für sie ist es schwer, um Unterstützung zu bitten. So erging es auch einer Teenagerin. Ich nenne sie Paula. Sie wuchs in dem Glauben auf, die Situation allein bewältigen zu müssen. Die Konsequenz: Sie wusste nicht, wie sie mit ihren Gedanken und Gefühlen umgehen sollte. Sie ging so weit, dass sie sich selbst verletzte.
Ihre Mutter erkannte, dass es ihrer Tochter nicht gut ging und bat den Leiter des Kinderzentrums um Hilfe. Die Compassion-Mitarbeiter sorgten dafür, dass sie psychologische Unterstützung erhielt. „Ich bin für die therapeutische Unterstützung, die ich erhalte, sehr dankbar. Ich merke selbst, welche Fortschritte ich gemacht habe. Ich verletze mich nicht mehr selbst und auch meine Panikattacken sind weniger geworden“, sagt Paula. „Kindern, die unter Depressionen oder Panikattacken leiden, gebe ich den Rat, dass sie sich Unterstützung suchen und Hilfe annehmen sollten.“
Umgang mit psychischen Erkrankungen
Depression würde in Mexiko an erster Stelle stehen, wenn wir eine Liste mit psychischen Erkrankungen erstellen würden. Gleich danach wären Angststörungen aufgelistet, gefolgt von Selbstmordgedanken und Essstörungen. Das sind die häufigsten Erkrankungen, die wir bei den Kindern aus dem Patenschaftsprogramm in Mexiko feststellen konnten.
Es gibt auch einige Probleme, die sich aus dem Drogenkonsum ergeben. Es gibt mehr Fälle von Jugendlichen mit Suchtproblemen, die auch unter starken Ängsten leiden. Ihr körperliches Verlangen beeinflusst ihre mentale Gesundheit.
Gemeinsam setzten sich die lokalen Partnerkirchen und Compassion mit dieser Realität auseinander. Wir wollen in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für psychische Erkrankungen schaffen. Auch anhand biblischer Geschichten zeigen wir, dass psychische Erkrankungen ein Teil dieser Welt sind, in der wir leben. Deshalb ermutigen wir Kirchen, dass sie diesen Herausforderungen Aufmerksamkeit schenken.
„Einige Maßnahmen, die die Compassion-Kinderzentren ins Leben gerufen haben, sind zum Beispiel Familientherapie, Gespräche, Schulungen und Aktionen, um das Bewusstsein in der Nachbarschaft zu schärfen. Einige organisierten Jugendcamps, in denen sie über mentale Gesundheit sprachen und schauten, wie ein guter Umgang mit ihren Gefühlen aussehen kann“, sagt Elizabeth, Psychologin in einem Compassion-Kinderzentrum.
Es ist für uns wichtig, dies durch spielerische Aktivitäten zu tun, damit Kinder und Jugendliche Stress abbauen können und dabei Spaß haben. Körperliche Bewegung kann präventiv wirken und zur Bewältigung von psychischen Problemen beitragen. Wir suchen nach Möglichkeiten, damit Kinder in Bewegung bleiben, damit sie ihr Adrenalin, ihre Angst und Wut loswerden können. Darüber hinaus – wenn nötig – erhalten Kinder und Jugendliche Unterstützung durch die Begleitung von Psychologen.
Compassion-Mitarbeiter werden auch darin geschult, ein auffälliges Verhalten besser einzuordnen und die Ursachen für Probleme zu erkennen. Sie sollen schnell und effektiv reagieren können, damit für die Kinder und Jugendliche – in Absprache mit den Eltern – gezielte Hilfe in die Wege geleitet werden kann.
„Mein Rat in Bezug auf die psychische Gesundheit: Es ist wichtig, sie mit der gleichen Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu behandeln, wie eine körperliche Krankheit“, so Elizabeth. „Die mentale Gesundheit ist genauso wichtig wie die körperliche Gesundheit.“
Bericht und Fotos: Daniela Velasco, Compassion Mexiko