16.01.2017 |

Unser Patenkindbesuch bei Hilda

alt="Patenbesuch in Afrika bei Hilda"

Von Petra und Winfried Ostermeier

Gut fünf Jahre hatten wir uns geschrieben, und im Laufe der Jahre war das Verhältnis zwischen uns und unserem damals 10-jährigen Patenmädchen Hilda immer enger geworden. „When will you come and visit the pearl of Africa?“, so schrieb sie uns einmal – und wir erklärten ihr, dass wir für so eine weite Reise erst einmal genügend Geld sparen müssten. Und nun steht sie vor uns, eine entzückende Fünfzehnjährige, festlich-schick gekleidet fällt sie uns um den Hals: „O my God! You are here! I am so happy!“ Ja, für sie ist es „the most beautiful day in my life“, und für uns der höchst emotionale Höhepunkt unserer 11tägigen Naturreise durch Uganda.

Leicht fiel es uns nicht, direkt am Tag nach der doch recht anstrengenden Rundreise mit der Überfülle an Eindrücken schon wieder frühmorgens zu starten, und dazu so aufgeregt, was uns wohl erwartete. Aber pünktlich um 6.30 Uhr (in Uganda noch stockdunkel!) stand unser Compassion-Fahrer vor unserem Guesthouse in Entebbe, fast gleichzeitig klingelte unser Handy, und Derrick, der Compassion-Mitarbeiter, mit dem wir schon zuvor letzte Details abgesprochen hatten, erkundigte sich, ob alles okay sei. Die Organisation unseres Besuches durch Compassion im Vorfeld war hervorragend, wie wir das auch im Laufe des Tages noch feststellen konnten.

Jetzt aber ging es los:  In einem Minibus, mitten durch das Verkehrschaos von Kampala – die Ruhe und Souveränität unseres Fahrers war erstaunlich – und über für ugandische Verhältnisse ziemlich erschütterungsfreie Straßen (wir waren anderes gewohnt!) die ca. 70 km nach Mityana – allerdings: knapp 3 Stunden brauchten wir dafür schon. Im Projekt wartete man schon auf uns, und wir wurden von Grace, einer Compassion-Mitarbeiterin, in Empfang genommen und von der Direktorin des Projekts begrüßt. Und natürlich Hilda – ihr versagte die Stimme nicht, wie sie befürchtet hatte. Dafür kämpfte ich (Petra) mit meiner Stimme und den Tränen, es war für uns beide, für Winfried und mich, ein unglaublicher Moment. Wir waren eigentlich eher fassungslos, Hilda übersprudelnd vor Freude. Seit Mai hatte sie schon von unserem Kommen gewusst und seitdem „her eyes on the calendar“.

Bei einer Tasse Kaffee und einem Imbiss im „Office“ entwickelte sich ein munteres Gespräch – Hildas Akte, die uns gezeigt wurde, ein paar von uns mitgebrachte Fotos von unserem Sohn. Das Programm lief dichtgedrängt:  „Shall we say hello to the children?“ und schon führte Grace uns in die Pentecostal Church, die Kirche der Gemeinde, die dieses Projekt betreut und auf ihrem Grundstück „beherbergt“. Dort waren die Compassion-Kinder in leuchtend  blaue Uniformen gekleidet zur „devotional time“ versammelt : „Those who trust in the Lord are like Mount Zion, which cannot be shaken but endures forever …” –  Worte des 125. Psalms schallen durch den Saal, laut vorgelesen von einem Kind, im Chor wiederholt von allen, kommentiert von der Projektleiterin. Wir werden mit Hilda zu besonderen Plätzen geleitet, zu uns gesellt sich nun auch der Pastor der Gemeinde, Francis, der zugleich „Overseer“ ist, also der, der die Familien aufsucht und die Kinder aussucht, die ins Projekt aufgenommen werden sollen. Alle sind ausnahmslos voll bei der Sache, ernst und konzentriert und voller Begeisterung beim Singen und Klatschen und Tanzen zu den „worship songs“. Speziell für uns bot der Chor zwei Lieder dar, eine gekonnte Choreographie, Gesang und Tanz mit Soloeinlagen.

Nach dem musikalischen Teil wurde Hilda ans Mikrophon gebeten, um uns zu begrüßen, und ehe wir uns versahen, mussten auch wir ein paar Worte zu den Kindern sagen.

Zurück im Büro wurden uns handwerkliche Arbeiten der Kinder gezeigt, bildschöne Taschen aus Perlen, deren Verkauf für Rücklagen für die weitere Ausbildung der Kinder dient. Gegen Mittag war dann Zeit zum Aufbruch zu Hildas Familie, aber zuerst mussten noch die Lebensmittelgeschenke für die Familie besorgt werden, ein besonderes Erlebnis mitten im typisch afrikanischen Stadt-Gewusel von Mityana. Dann die Fahrt zu Hildas Zuhause – ein braunes Haus, ohne Türen, alles offen, nur ein Vorhang flatternd im Eingang. Hildas Tante, bei der sie mit weiteren zwei Geschwistern wohnt, heißt uns vor dem Haus willkommen: „Thank you for all you have done for our family!“ Sie berührt merkwürdig, diese tiefe Dankbarkeit, fast demütig, und irgendwie fühlt man sich auf einem Podest, auf das man gar nicht will, auch nicht hingehört. Denn – so die unterschwellig ablaufenden Gedanken: Was haben wir denn schon getan, Geld gegeben, das wir gut entbehren können, aber vielleicht wiegen die Briefe und Gebete, die wachsende Anteilnahme, je persönlicher die Briefe mit der Zeit wurden, ja noch viel mehr ?

Wir wurden gleich in einen kleinen Raum geleitet, die Polstersitze sorgfältig mit weißen, bestickten  Deckchen versehen. Ansonsten, wie überall im Haus, kahle graubraune Wände. Hier fanden wir irgendwie alle Platz, mit Hilda, Tante, Onkel, Projektleiterin, Grace, dem Pastor und Hildas Mutter, die extra für diesen Tag gekommen war und sonst krankheitsbedingt bei einem Verwandten in Kampala wohnt. Sie stößt als letzte nach all den Kindern zu uns: Nichte und Neffe von Hilda (die Kinder der ältesten Schwester, die aber nicht dort lebt), ihre Geschwister sowie drei Cousins und Cousinen. Die Kinder nähern sich uns zur Begrüßung auf Knien, irgendwie verstörend für uns! Und so schüchtern sind sie!

Dann kommt der Geschenkaustausch: die Lebensmittel für die Familie – gleich einmal die Süßigkeiten für die Kinder! – und endlich kann auch Hilda ihren Stoffbeutel mit aufgedruckten Namen deutscher Großstädte auspacken. Bei der Zusammenstellung der Geschenke hatten wir uns im Wesentlichen  von den hilfreichen Hinweisen in den Informationen von Compassion zum Patenbesuch leiten lassen, und lagen 100% richtig: Zwei englische Bücher, eine kleine Armbanduhr, die sofort an Hildas Arm wanderte, ein Mäppchen mit diversen Stiften etc., ein T-Shirt, Seife, Zahnbürste, Zahnpasta und  Bonbons.

Wie überrascht aber waren wir, als uns unsere Geschenke feierlich überreicht wurden, alles handgearbeitet: eine bunte geflochtene Tasche, Sonnenhüte (sogar einer für unseren Sohn!), wunderschöne Flechtschalen und eine große Sitzmatte – viel zu viel, wie wir dachten. Wieder drängte der Compassion-Staff zum Aufbruch. Es sollte ein gemeinsames Mittagessen im Projekt geben, zu dem uns Tante, Onkel und Mutter mit Hildas Nichte und Neffen begleiteten.  „Many times“ sei sie schon dort im Projekt gewesen, berichtete uns Hildas Tante. Sie ist Grundschullehrerin, ebenso wie ihr Mann – doch reicht der Verdienst gerade fürs Existenzminimum. Unfassbar für uns: eine Lehrerfamilie in Armut. Beim Essen im Büro (Matoke, also Kochbanane, gebratener Reis, Beef in Sauce, Chicken, Erdnußsauce, Salat, Früchte, dazu gekühlte „soft drinks“ ) hatten wir ein wenig Gelegenheit zum Gespräch, aber es war wie generell in Uganda schwierig, das für uns doch sehr ungewohnte „afrikanische Englisch“ zu verstehen. Da hieß es konzentriert hinhören und viel nachfragen. Und viele Fragen kamen erst hinterher!

Zur gleichen Zeit standen die Kinder für ihren gebratenen Reis an – nicht ohne sich vorher an den aufgestellten Wasserpumpen die Hände gewaschen zu haben!

Nach dem Essen erzählte mir Pastor Francis von den Anfängen, wie er noch in der Kirche seine Arbeitsecke hatte, bis er in das winzige Büro für den „Overseer“ umziehen konnte, von seinen Besuchen in den Familien, wo er die Kinder aussucht und zuallererst die Familien zu Sauberkeit und Hygiene anhält. Er erzählte, wie unterernährt Hilda gewesen sei: „Can`t tell you how terrible it was!“ Ihre Haut sei so trocken gewesen, dass sie selbst mit Lotion keine Feuchtigkeit aufnahm. Und er erzählt mit leuchtenden Augen, wie die Kinder sich im Projekt verändern. Nun, das beste Beispiel hatten wir ja mit Hilda vor Augen! Und sie, so hatte er schon in Hildas Anwesenheit festgestellt, sei mit ihrer Intelligenz („a sharp mind“) ein Fall fürs Abitur (A-level) und Universität. Natürlich hätten nicht alle Kinder im Projekt diese geistigen Voraussetzungen, und so versuche man, dort auch handwerkliche Fähigkeiten zu entwickeln, um ihnen einen Start ins Leben zu ermöglichen. Im Zentrum aller Förderung stehe der Gedanke, was nach dem Projekt komme, die Kinder dafür fit zu machen.

Mit einem bunten Paket von Eindrücken, beantworteten Fragen, vergessenen Fragen und neu aufgekommenen Fragen stiegen wir nach herzlichem Abschied von Familie und Mitarbeitern und“ big hug“ für Hilda wieder in unseren Minibus. Neues im Sekundentakt, 5 Stunden lang – wen wundert es, dass unser Fahrer auf der Rückreise feststellte: „You are looking tired!“ Ja, das waren wir, müde, erschöpft, aber überglücklich und mit hautnaher Erfahrung, was ein Compassion-Projekt leistet. Und mit einem noch größeren Platz im Herzen für „unsere“ Hilda.