21.08.2020 |

Die Entschlossenheit einer Vierjährigen

Maisa liebt es, die Vögel am Himmel zu beobachten. Manchmal fragt sich die Vierjährige, wie sie allein durch das Bewegen ihrer Flügel so hoch fliegen können.

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„Wenn ich fliegen könnte, würde ich so hoch wie möglich fliegen, bis ich Jesus erreiche“, sagt Maisa. „Ich würde ihn gerne treffen.“

Ihr Traum vom Fliegen ist verständlich, denn ihre Beine erlauben es ihr nicht, weit zu gehen. Bevor ihre Mutter Ana die neugeborene Maisa in den Armen halten konnte, erhielt sie von den Ärzten die Nachricht, dass ihre Tochter eine Fehlbildung an den Beinen haben würde. In diesem Moment verwandelten sich Anas Aufregung und Freude in Enttäuschung und Traurigkeit.

„Ich wollte meine Tochter nicht anschauen, als ich hörte, dass sie eine Fehlbildung hatte“, sagt Ana. „Ich weigerte mich, sie am ersten Tag im Arm zu halten“, sagt Ana. „Als ich ihre Beine sah, weinte ich.“

Aber als sie ihr Baby wieder anschaute, sah die 18-jährige Ana nur noch Maisas wunderschönes Lächeln. Ana erkannte, dass ihr kleines Mädchen ein großes Geschenk war.

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Das Lächeln, das Anas Herz eroberte, wurde noch schöner und fröhlicher, als Maisa größer wurde. Trotz aller Schwierigkeiten und Einschränkungen wuchs sie ganz selbstverständlich mit den anderen Kindern in der Nachbarschaft auf. Bis heute hat Maisa hat nie gefragt, warum ihre Beine nicht die gleichen sind wie die ihrer Freunde.

„Ich frage mich, wann der Tag kommt, an dem Maisa es ansprechen wird. Noch ist es ihr egal, obwohl sie weiß, dass manche Dinge für sie schwieriger sind als für andere. Aber ich glaube, dass ihre Einstellung die gleiche bleiben wird wie heute, weil sie ein sehr positives und mutiges Mädchen ist“, sagt Ana.

Ohne entsprechende Behandlung, so die Ärzte, besteht Maisas einzige Möglichkeit Laufen zu lernen darin, ihre Beine zu amputieren und Prothesen einzusetzen. Ana und ihre Familie haben jedoch beschlossen, dass es noch zu früh ist, sich für diese Option zu entscheiden, da es für ihre Tochter neben den Kosten für die teuren Prothesen auch viel Leid bedeuten würde. Sie warten mit der Entscheidung, bis Maisa älter ist.

Im Moment ist Krabbeln die einfachste Art, wie Maisa sich selbstständig fortbewegen kann. Obwohl sie den Kindern der Nachbarschaft oft beim Laufen und Spielen auf der Straße zuschaut, kann sie meistens nicht mitmachen.

Dann wurde Maisas langgehegter Wunsch wahr.

Das kleine Mädchen sah immer Kinder aus ihrer Straße in das Kinderzentrum einer Compassion-Partnerkirche gehen. Die Kinder schienen glücklich zu sein und Maisa fragte ihre Mutter, ob sie auch dabei sein könne.

„Maisa wollte unbedingt hingehen und sprach immer und immer wieder darüber, wenn wir in der Nähe waren“, sagt Ana. „Also sprach ich mit den Ehrenamtlichen und wartete, bis sie einen Platz für meine Tochter hatten.“

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Im Gegensatz zum Betonboden ihres Hauses fand Maisa im Compassion-Zentrum einen sicheren Ort zum Spielen und zur Freundschaft mit anderen Kindern. Im Klassenzimmer legten ihre Lehrer Spielmatten auf den Boden, damit Maisa sich beim Spielen mit den anderen Kindern nicht die Knie verletzen konnte. Die Mitarbeiterinnen achten auch darauf, dass sie bei allem problemlos mitmachen kann.

„Ich liebe es im Kinderzentrum“, sagt Maisa. „Hier kann ich das tun, was ich am liebsten tue: viel mit meinen Freunden spielen. Es macht hier immer Spaß. Ich bin so glücklich, wenn ich da bin“, sagt Maisa.

Die Mitarbeiter im Kinderzentrum versuchen, das Selbstwertgefühl aller Kinder zu fördern und einen Sinn für Wertschätzung zu vermitteln, auch für die, die anders sind – etwas, das Maisa woanders nicht immer erfahren hat.

„Leider höre ich viele Kommentare über meine Tochter“, sagt Ana. „Aber ich ignoriere das alles. Für mich zählt nur, dass sie es nicht hören muss. Ich will nicht, dass irgendwer Mitleid mit ihr hat. Ich will, dass sie stark wird und für ihre Träume kämpft.“

Im Kinderzentrum bekommt Maisa die Gelegenheit, genau das zu tun.

Die Unterstützung ist auch deshalb entscheidend, weil Maisas Familie im vergangenen Jahr Schreckliches erlebt hat.

Ende 2019 wurde Anas Mann ermordet. Ana war gerade schwanger und plötzlich allein mit der Erziehung ihrer beiden kleinen Töchter. Die Familie kann nur überleben, weil Maisa aufgrund ihrer Behinderung eine staatliche Unterstützung erhält und Ana zeitweise auf den Ananas- oder Zuckerrohrplantagen in der Region arbeitet.

Die Situation war so belastend, dass Ana in eine Depression verfiel und nicht mehr leben wollte.

„Als mein Mann starb, hatte ich das Gefühl, allein zu sein. Ich wollte nicht mehr weitermachen“, sagt Ana. „Aber es war das Lächeln meiner Töchter, das mir die Kraft gab, aufzustehen“, sagt Ana.
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Maisas Entschlossenheit und die Fortschritte, die sie gemacht hat, motivieren und trösten Ana. Seit ihre Tochter das Kinderzentrum besucht, haben sich ihre Bewegungen und ihr Umgang mit anderen Kindern stark verbessert.

„Seit einem Jahr kann ich große Veränderungen in ihrer Entwicklung feststellen. Im Kinderzentrum lernt sie Dinge, die sie in der normalen Kita nicht bekommt. Im Compassion-Zentrum sehen die Freiwilligen jedes Kind als ein einzigartiges Kind. Und trotzdem behandeln sie Maisa nicht anders, damit sie sich nicht minderwertig oder privilegiert fühlt. Wann immer sie nach Hause kommt, erzählt sie mir von Jesus“, sagt Ana.

Im Kinderzentrum wird Maisa nicht bemitleidet, sondern zum Träumen ermutigt.
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Im Alter von 4 Jahren hat Maisa noch keine großen Ziele. Doch ihre Entschlossenheit und ihr Optimismus im Leben werden ihr helfen.

„Trotz ihrer Beine möchte ich, dass Maisa viel weiter geht als ich“, sagt Ana. „Ich bin der Kirche so dankbar, dass die Mitarbeiter ihr geholfen haben, große Träume zu verfolgen, auch wenn sie mit ihren eigenen Beinen nicht aufstehen kann. Meine Tochter ist etwas Besonderes. Nicht wegen ihrer Einschränkungen, sondern wegen ihrer Entschlossenheit und Freude.“

Bericht und Bilder: Sara Navarro, Compassion Brasilien