10.01.2022 |
Ein echter Palast
Ein echter Palast
Der Morgen des 14. August 2021 wird für Vania immer ein dunkles Datum bleiben. Es ist der Tag, an dem all ihre Bemühungen der vergangenen Jahre in wenigen Sekunden zunichte gemacht wurden. Das Erdbeben an der Südküste Haitis richtete enorme Schäden an, von denen Vania und ihre Familie nicht verschont blieben.
„Ich war nicht zu Hause, als die Katastrophe hereinbrach. Ich bin sehr früh aufgestanden, wie jeden Morgen, um zum Markt zu gehen. Robenson, mein Mann, war mit Darlène und den anderen Kindern zu Hause. Mein Sohn Jean François war auf dem Weg zum Kinderzentrum. Zum Zeitpunkt des Erdbebens schrien und weinten alle neben mir. Die Leute hatten Angst und rannten herum, um sich in Sicherheit zu bringen. Als ich herausfand, was los war und sah, wie Häuser einstürzten, dachte ich sofort an meine Kinder und daran, was zu Hause passieren könnte“, sagt Vania.
Vania und Robenson haben sechs Kinder und leben in der Nähe von Les Cayes im Südwesten Haitis. Vania liebt es, in der Bibel zu lesen. Ihr Herzensanliegen ist es, anderen von Jesus zu erzählen. Um ihre Familie zu versorgen, verkauft sie ein bisschen von allem: Lebensmittel, Kleidung, Haushaltsgegenstände. Sie möchte gerne den Bedürfnissen ihrer Kinder zu gerecht werden, von denen zwei, Jean François (10 Jahre) und Darlène (2 Jahre), am Kinderentwicklungsprogramm der örtlichen Compassion-Partnerkirche teilnehmen:
„Ich komme zurecht, so gut ich kann. Aber ich bin auch abhängig von der Jahreszeit und den Möglichkeiten, die sich bieten. Um einen Laden einzurichten, fehlt mir leider das Geld, aber ich gebe mein Bestes“, erzählt Vania. Robenson arbeitet mit ein paar eigenen Tieren und in der Landwirtschaft. Dadurch kann er die Familie teilweise mit Lebensmitteln für den eigenen Bedarf versorgen.
Von einer Sekunde auf die andere alles verloren
Als das Erdbeben kam, kämpfte die Familie bereits ums Überleben. Dann wurde ihr Haus zerstört und alle Möbel, persönlichen Gegenstände und andere wichtige Dokumente wurden unter den Trümmern begraben. In den Minuten nach dem Erdbeben wollte Vania einfach nur möglichst schnell nach Hause und nach ihrer Familie schauen. In der Stadt voranzukommen war schwierig, denn die gesamte Bevölkerung war in Panik und jeder wollte von seinen Angehörigen hören. Da sie kein Taxi finden konnte, begann Vania zu laufen, in der Hoffnung, unterwegs eines zu finden. Sie war sehr weit von zu Hause entfernt.
„Je weiter ich lief, desto mehr Sorgen machte ich mir. Ich sah die zerstörten Häuser am Straßenrand und weinende Menschen, während andere verletzt waren. Mich beschäftigte nur eine einzige Frage: Hat unser Haus den Erschütterungen standgehalten?“, erzählt Vania. Als sie zu Hause ankam, stellte sie mit Verzweiflung fest, dass das Haus zerstört worden war. Doch wie erleichtert war sie, dass die Kinder und ihr Ehemann sich in Sicherheit befanden!
„Ich weinte, als ich die Trümmer des Hauses sah, aber als mir klar wurde, dass ich auch eins meiner Kinder oder meinen Mann hätte verlieren können, umarmte ich Darlène und fand Kraft in ihren unschuldigen Augen“, berichtet Vania.
Es war der Beginn einer langen und schwierigen Zeit für diese bescheidene Familie, die in wenigen Sekunden alles verloren hatte. Zu allem Überfluss wurde der Süden des Landes am Abend des Erdbebens auch noch von einem Wirbelsturm mit heftigen Regenfällen getroffen. Obwohl sie obdachlos waren und keine Möglichkeit hatten, sich vor dem Regen zu schützen, waren Vania und ihre Familie nicht allein. Bereits in den ersten Stunden nach dem Erdbeben besuchten Mitarbeiter des Compassion-Kinderzentrums die Familie und sorgten dafür, dass sie sich vor dem Starkregen schützen konnten.
Eine getrennte Familie
Vanias Probleme verschwanden nicht, als die Sonne nach dem Regen wieder auftauchte. Da sie kein Zuhause mehr hatten, gelang es Vania und ihrem Mann, mit den wenigen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, eine notdürftige Überdachung zu bauen. Es ermöglichte ihnen zwar, sich ein bisschen zu organisieren und zu überleben, doch leider konnte in dieser Notbehausung nicht die ganze Familie schlafen. Widerwillig schickte Vania zwei ihrer älteren Kinder zu Freunden in der Nachbarschaft, die weniger vom Erdbeben betroffen waren. Sie wollte ihre Familie zusammen haben, aber es war nicht möglich.
„Wir konnten uns in dem kleinen Unterstand kaum hinlegen. Wenn es nachts regnete, wurden wir fast immer nass. Es war nicht möglich, zusammenzubleiben, selbst wenn wir es wollten“, sagt Vania.
Während Vania und ihre Familie ums Überleben kämpfte, brach ein weiteres Unglück herein. Eines Nachts griffen Hunde aus der Umgebung das Vieh der Familie an. Von den zehn Tieren überlebten nur zwei den Angriff. Nun hatte die Familie auch noch ihre einzige Einnahmequelle verloren. Ein zusätzlicher Verlust, der die Probleme der ohnehin schon schwer geprüften Familie noch vergrößerte.
Licht am Horizont
Trotz allem verlor Vania nie ihren Glauben. Sie war durchgehend in Kontakt mit den Mitarbeitern des Kinderzentrums, die ihr seelsorgerliche, psychologische und finanzielle Unterstützung anboten. Vor allem aber hörte sie nie auf, zu Gott zu beten und ihn um Hilfe zu bitten. Ihr größtes Gebet war ein sicherer Platz zum Schlafen, damit die ganze Familie wieder zusammen sein kann. Als Vania von den Mitarbeitern des Kinderzentrums die Nachricht erhielt, dass die Familie eine vorübergehende Unterkunft erhalten würde, war sie überglücklich. Es war eine klare und direkte Antwort auf ihr größtes Gebet an diesem Tag:
„Ich habe bei dem Erdbeben mein Haus mit allem verloren, aber Gott hat meine Familie bewahrt. Ich weiß, dass er einen guten Grund dafür hatte. Durch die Unterstützung, die wir von unserer Compassion-Familie bekommen haben, hat er mir seine Güte bewiesen“, sagt Vania.
Das Wichtigste war jedoch, dass ihre älteren Kinder nach Hause zurückkehren konnten und die Familie wieder vollständig war.
Freude und Dankbarkeit
„Wo andere eine kleine vorübergehende Unterkunft sehen, sehe ich einen Palast. Der Herr hat unsere Schreie gehört und durch seine Kirche geantwortet“, sagt Vania über ihr neues Zuhause.
Vania und ihre Familie sind Gott und Compassion sehr dankbar: „Ich freue mich im Namen des Herrn. Seine Barmherzigkeit und seine Gnade geben meiner Familie Hoffnung trotz der tiefsten Dunkelheit“, sagt Robenson. Als Vania einige Tage nach dem Einzug ihre ersten Gäste begrüßt, Mitarbeiter des Büros von Compassion Haiti, ist ihre Freude grenzenlos.
„Zu sehen, wie dankbar diese Mutter ist, nachdem sie alles verloren hat, hat mein Herz tief berührt. Das sind die Zeugnisse, die uns in unserer Arbeit noch mehr motivieren“, sagte Guilbaud Saint-Cyr, der Landesdirektor von Compassion Haiti, nachdem er die Familie besucht und mit ihr gebetet hatte. Trotz der Schwierigkeiten der vergangenen Monate sind Vania und ihre Familie dankbar. Es gibt immer noch Herausforderungen, aber Vania weiß, dass ihre Familie sie nicht allein bewältigen muss.
Bericht und Bilder: Erick Jura, Compassion Haiti
Vanias Familie ist eine von vielen, die während des schweren Erdbebens alles verloren haben. Aktuell kann Compassion rund 250 Häuser pro Woche fertigstellen und an diese Familien übergeben. Danke für deinen Beitrag! Denn es gibt weiterhin zahlreiche Familien, die auf Unterstützung angewiesen sind.